Zum Wert der Arbeit

Die aktuell grassierende Pandemie hat mitunter auch ihre Vorzüge: Sie wirft bisweilen ein Licht auf Missstände in der Gesellschaft, die bisher als normal hingenommen wurden. Vergangenen Montag konnte man einem Radiobericht des SWR entnehmen, dass augenscheinlich viele Beschäftigte in den inzwischen sogenannten “systemrelevanten Berufen” ihr Leben nicht mit ihrem Gehalt bestreiten können und auf Sozialhilfe bzw. Aufstockungen angewiesen sind. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Gesundheitsberufen, Supermärkten und anderen Bereichen halten unser alltägliches Leben am Laufen – müssen selbst jedoch mitunter am Rande der Existenzbedrohung dahindümpeln. Man konnte tatsächlich den Eindruck gewinnen, dies sei eine neue Information. Bislang lief doch alles gut!

Die momentane Lage zeigt uns mit einer erfrischenden Deutlichkeit, dass dem eben nicht so war – oder ist: Hier arbeiten Menschen bis an den Rand der Erschöpfung (und darüber hinaus) zum Wohle eines jeden und setzen dabei ständig ihre eigene Gesundheit und die ihrer Angehörigen auf’s Spiel. Derweil dürfen sie sich zum Teil noch üblen Beleidigungen und Übergriffen derer aussetzen, deren kognitives Vermögen bequem unter jeden Einzeller passt – denn bei manchen Zeitgenossen scheint das Virus auf das Gehirn überzugreifen.

Regale füllen sich nicht über Internet. Patienten lassen sich nicht aus dem Homeoffice pflegen. Was ist der Dank dafür? Lobeshymnen und kollektives Klatschen bis in die höchsten Häuser der Nation. Danke, sehr freundlich – aber davon zahlen sich weder Mieten noch Einkäufe. Und sobald alles überstanden ist, machen wir weiter wie bisher – und prangern z.B. den Pflegenotstand an, der sich anscheinend nur durch Kräfte aus Niedriglohnländern beheben lässt? Denn an den Gehältern, nein, daran kann es nicht liegen, dass es Nachwuchsschwierigkeiten gibt. Joe Kaeser sitzt nicht an der Kasse im örtlichen Supermarkt, Cristiano Ronaldo wechselt nicht die Infusionen in der Klinik: Wir sehen im Moment, dass das Gefüge letztlich von denen zusammengehalten wird, die wir als selbstverständlich hinnehmen und denen wir im Alltag wenig Beachtung schenken – nicht von den “Großen”, den “Schönen” und den “Stars”. Und vielleicht merken dies auch die Verantwortlichen, die etwas ändern können. Dann können sie endlich zeigen, dass sie den sprichwörtlichen Arsch in der Hose haben (für manche wird dies neu sein) und diejenigen, die das Land WIRKLICH am Laufen halten, finanziell angemessen für deren täglichen Einsatz entlohnen. Allein der Glaube fehlt leider noch… (Patrick Hennrich)